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Her – Film mit Joaquin Phoenix und Scarlet Johansson

Andy | 31. Mai 2016

Spike Jonzes Zukunftsvision schockt! Nein, nicht voll in die Fresse, sondern langsam schleichend, bis man sich im Kinostuhl windet vor lauter Übelkeit. Bei dystopischen Filmen von „Die Tribute von Panem“ bis hin zu Klassikern wie „Uhrwerk Orange“ klaffen Realität und Fiktion für den Zuschauer so weit auseinander, dass sich jeder entspannt zurücklehnt, um Popcorn mampfend die Menschheit bei der Selbstzerstörung zu begaffen. Als ob irgendwer wirklich denkt: „Gib uns zehn Jahre und wir metzeln uns in Reality-TV Arenen zu Tode!“. Man setzt sich nach dem Film in die Bahn, amüsiert, unterhalten, vielleicht begeistert, mit der entspannten Gewissheit: „Das kann uns eh nicht passieren!“ – Oh doch!

Samantha, das smarte Operating System

„Her“ zeigt eine Welt, getaucht in Pastellfarben, wo Hosen wieder fast unters Kinn reichen und Wohnungen wirken wie futuristische Ikeakataloge. Wie schlimm kann es in solch einer brav anmutenden „Future-meets-sixties“-Welt schon sein? Und dann haucht uns Samantha, das smarte Operating System, auch noch ins Ohr und möchte eine tiefergehende Beziehung mit uns aufbauen. Klingt doch sympathisch.

Naja, auf den ersten Blick. Wer den zweiten Blick wagt, erkennt eine abgestumpfte, kalte Gesellschaft gehüllt in Wohlfühlfarben. Von Beginn an herrscht bei ernstzunehmenden zwischenmenschlichen Beziehungen eher Fehlanzeige in der Welt von Joaquin Phoenix alias Theodore Trombley. Der schnauzbärtige Mittdreißiger schreibt beruflich Liebesbriefe – für andere Menschen. Reale zwischenmenschliche Gefühle – Pustekuchen. Im Privatleben verkriecht der schüchterne Theodore sich immer mehr daheim. Das soziale Umfeld, falls man das denn überhaupt so nennen kann, beschränkt sich auf seine Nachbarin (Amy Adams) und einen Arbeitskollegen (Chris Pratt). Kommunikation findet meist nur über den Knopf im Ohr statt. Ist ja auch sauanstregend, diese Kommunikation, immer diese Menschen mit all ihren Sentimentalitäten.

 Her Film – Scarlet Johansson in körperlos

Samantha ist da anders. Samantha versteht Theodore. Samantha ist (erschreckend) perfekt. Sie hat nur den minimalen Makel der Körperlosigkeit. Ist jetzt auch nicht der Rede wert. Es fällt wirklich schwer Theo zu verurteilen, wenn niemand anderes als Scarlet Johansson als Samantha dem treuseligen Tölpel ins Ohr säuselt: „I love you!“. Vielleicht ist auch genau das die größten Schwäche des Films. Denn kann ein Computer mit Scarlet Johansson Stimme je so richtig körperlos sein? Liegt da nicht automatisch irgendwie der pralle Körper von Miss „Sexiest-Woman-Alive-2013“ mit im Bett?

Aber auch das reizt. Die Stimme als einziger Repräsentant der ultimativen Männer-Fantasie: Eine Nacht, zusammen im Bett, mit Scarlett. Theo bekommt sie, und doch nicht wirklich; fühlt sich so nah, und bleibt doch so fern, zu zweit und doch eigentlich ganz allein. Langsam und subtil fließt der Schrecken in die Story. Samantha ist doch da, ständig erreichbar, clever, smart, witzig. Bis man sich auf halber Strecke selber ertappt beim Gedankenspiel: Wäre doch gar nicht so schlimm oder? Sie ist doch nicht nur ein Computer, denkt man, ja, wünscht man sich. Schau doch! Schau doch, wie die beiden sich lieben!

Zwei Liebende, die einander nicht genug sein können

Genau hier liegt der wahre Kern des Films. Noch vor einer schrecklichen Zukunftsvision, entfaltet sich vor uns eine tragische Liebesgeschichte. Denn Theodores und Samathas Liebe erscheint so echt, so bedingungslos. Zwei Liebende, die für einander gemacht sind. Seelenverwandte, die zusammen gehören und doch einfach nicht zusammen sein können. Diese Erkenntnis erschleicht den Zuschauer genauso langsam wie die Protagonisten selbst.

Samanthas Menschlichkeit bleibt jedoch nicht mehr als ein Trugschluss. Ein Fehler in unserem eigenen System, alles, was zu denken, zu fühlen und zu sprechen, scheint für einen Menschen zu halten. Doch Samantha ist kein Mensch. Sie ist mehr, ein körperloser, ungebundener Verstand. Abgesehen von der physischen Abwesenheit, ist eine Beziehung zu solch einem Geist, für den Raum und Zeit nicht gelten, letztendlich unmöglich. Nein, Samantha ist nicht nur ein kalter Computer, der schlicht funktioniert. Samantha hat ein wirkliches Bewusstsein, doch ist ihr Wesen neu und übermenschlich. Der kleine, festgefahrene Theodore ist für diesen ungebundenen Verstand irgendwann einfach nicht mehr genug. Eine Erkenntnis, die die Liebenden beide erst selbst machen müssen. Und das schmerzt.

Zu komplex für etwas so Triviales wie menschliche Liebe

Die Erkenntnis der Unmöglichkeit ihrer Liebe trifft Samantha genau so hart wie Theodore. Scarlett Johansson ist in diesem Film womöglich die überzeugendste Protagonistin, die es nie auch nur eine Minute auf die Leinwand schafft. Ihre Stimme liebt, leidet, lebt und verbleibt doch im fernen Voice-Over. Sie bietet eine Achterbahn der Emotionen, und steht der grandiosen Leistung des Chamäleons Joaquin Phoenix in nichts nach.

Das dystopische Ende, wie wir es kennen, bleibt aus. Kein Krach Boom Bang, keine Zerstörung, kein ultimativer Distanzgewinn zu diesem Bildergeflimmer vor unseren Augen. Das „System“ Samantha mag intelligenter sein als Theodore, intelligenter als die gesamte Menschheit, doch will sie nicht mit ihren Maschinenkumpels die Weltherrschaft an sich reißen und zu guter Letzt vielleicht noch Zivilisten in Reality-TV Arenen ins Gemetzel schicken. Nein, sie will nur lieben, lieben wie ein Mensch. Doch ist sie zu komplex für etwas so Triviales wie menschliche Liebe.
Und so verlässt man den Film tief gerührt von dieser unmöglichen Liebe. Man steigt in die Bahn, will von dieser bedrückenden Erfahrung berichten, schaltet sein Smartphone an, schaut kurz auf, sieht die Menschen gebannt auf ihre Bildschirme starren und stockt für einen Moment. So weit ist Spike Jonzes Kuschel-Zukunfts-Dystopie nicht von der Realität entfernt.

Film „Her“ auf Netflix schauen

Bild: Warner Bros. GmbH, Her Film

Kategorien: Video on Demand